Wie mutig muss jemand sein, sich im Alter noch einmal auf eine neue Paarbeziehung einzulassen? Margot Käßmann und Andreas Helm, die als Jugendliche erste Küsse getauscht und sich nach 40 Jahren wieder begegnet sind, plauderten anlässlich ihrer Lesung im Kulturzentrum Triangel aus dem Nähkästchen. Bereits nach wenigen Minuten war klar, wie sich das Paar in der Beziehung begegnet: jedem seinen Raum gebend, respektvoll und auf Augenhöhe – selbst wenn sie rein körperlich ein ganzes Stück kleiner ist als er. Das macht sie manchmal mit reden wett: „Ich weiß, ich rede gerne und viel“, gesteht sie, ist aber dankbar für einen Partner, der bei Gesprächen mit ihr in die Tiefe geht und der sie herausfordert, ihren Standpunkt neu zu überdenken oder sachlich zu verteidigen. Laut eigenen Aussagen gab es bisher nur einmal eine gegensätzliche Einstellung zu einer Frage. Und zwar zeigte sich beim Ausfüllen der Patientenverfügung zum Thema Demenz eine unterschiedliche Sichtweise: „Es kann doch durchaus sein, dass ich jetzt denke, mit einer Demenz lohne sich mein Leben nicht mehr, wenn ich aber dement bin, total dankbar bin, immer noch zu leben, wer weiß das schon?“, legt sie ihren Gedankengang dar. Grundsätzlich aber verbinden die beiden dieselben Werte und viele ähnliche soziale und kirchliche Engagements. Und zu entdecken, wie viel sich bei beiden seit der Jugend parallel ähnlich entwickelt hat, empfanden beide beim erneuten Kennenlernen nach 40 Jahren als besonderes Erlebnis. Wenn sie in ihrem Buch beschreiben, dass sie sich an Schlafens- und Aufstehzeiten oder die ein oder andere Marotte des anderen erst einmal gewöhnen mussten, dann liest sich das so einfach in einem Satz, doch dahinter stecken kleinere und größere Prozesse und immer wieder die Einstellung, dass eine Beziehung auch Kompromisse wert sein sollte. Bei Werten aber stehen beide für dieselbe Haltung. Besonders zum Thema Frieden haben beide eine gleiche Einstellung. „Eine Haltung zum Wehrdienst ist etwas anderes als eine Meinung“, verdeutlicht Andreas Helm seine nachträglich amtlich eingereichte Kriegsdienstverweigerung. Auch in der anschließenden Fragerunde wurde das Thema Krieg, Waffenlieferungen und Frieden ein vielfaches Anliegen der Zuhörer. Das Paar erntet Anerkennung für seine klare Stellungnahme, lässt aber auch eine gewisse Verwunderung durchblicken: „In persönlichen Gesprächen sagen so viele uns, dass sie gegen die Waffenlieferungen der europäischen Staaten sind, in der Öffentlichkeit spürt man davon oft wenig“, so Käßmann. Die Fragen im Anschluss an die Lesung betrafen tatsächlich fast nur gesellschaftspolitische und religiöse Themen und führten vom Frieden zu den Klimaaktivisten, von Lieblingsbüchern und Zitaten aus der Bibel zum persönlichen religiösen Leben der beiden. Die Wichtigkeit von Ökumene wurde befragt und der Umgang mit dem Gewissen, insbesondere mit dem schlechten Gewissen, wurde thematisiert. Auch wagte es ein Gast, Margot Käßmann ganz gezielt zu einer Zeitreise gute 13 Jahre zurück einzuladen. Sie nahm die Einladung an und sagte: „Ich würde ganz sicher bewusst nicht noch einmal die Entscheidung fällen, mit Alkohol im Blut die 2 km im Dienstwagen zu fahren, die Scham, die Peinlichkeit, die Belagerung von Journalisten, das wünsche ich wirklich niemandem, es war eine schreckliche Erfahrung, die ich freiwillig nicht wieder wählen würde. Trotzdem stehe ich im Rückblick hier und bin im Frieden mit dem Lebenswandel der letzten 13 Jahre, weniger Verpflichtungen dafür mehr Zeit zum Bücherschreiben und für die Beziehung geben mir eine andere Lebensqualität.“ Die letzte Frage wollte wissen, was die beiden aufgrund ihrer Lebenserfahrung der kommenden Generation wünschen würden, neben einer gesunden Natur und Umwelt sind dies ein spiritueller Halt, der Glaube an etwas, das größer ist als das Offensichtliche.

Zahlreiche Bücher wurden abschließend signiert und das ein oder andere persönliche Gespräch wurde noch gesucht. Auch die organisierende Kooperationsgruppe des Vikariats Ostbelgien, der Ländlichen Gilden und des Landfrauenverbandes konnten mit zirka 200 Gästen auf einen rundum gelungenen Abend zurückschauen.