Zweitagesfahrt nach Mainz – Auf Spurensuche jüdischer und christlicher Wurzeln

„Ich will verstehen, was ich bete“, so der aus der ehemaligen UDSSR nach Mainz gezogene Herr Podval der Jüdischen Gemeinschaft in Mainz. Die jüdische Gemeinschaft in Mainz erlebt seit März diesen Jahres herausfordernde Zeiten, doch der weise Rabbiner der Gemeinschaft schafft es, die Politik vor den Türen der Neuen Synagoge auszusperren und innerhalb der Glaubensgemeinschaft dem Wesentlichen den Raum zu geben. Die Neue Synagoge in Mainz ist eine beeindruckende architektonische Komposition voller Symbolik und Botschaften, und gehörte zu den wesentlichen Entdeckungen auf dieser zweitägigen Spurensuche nach jüdischen und christlichen Wurzeln. 26 Ostbelgier*innen haben sich für diese außergewöhnliche Bildungsreise am 20. und 21. Oktober entschieden. Dieses Angebot wurde durch die Kooperation der Ländlichen Gilden, des Vikariats Ostbelgien sowie des Landfrauenverbandes ermöglicht. Vater der Idee war indes Bischofsvikar Emil Piront, der in Mainz studiert hatte und sofort jüdische und christliche Sehenswürdigkeiten ins Programm aufgenommen hat.

St. Stephan mit seinen blauen Chagall-Fenstern beeindruckte ohne große Worte und zählt zu den Seltenheiten dieser Erde, denn wenn ein französischer Künstler russischer Abstammung und jüdischen Glaubens in einer deutschen katholischen Stadt wie Mainz die Fenster gestaltet, dann lösen sich vielerlei Grenzen wohlwollend auf. Die 18 unterschiedlichen Blautöne sowie die bewegten biblischen Motive in Chagalls Fenstern ziehen den Blick des Betrachters magisch an, während das blaue Licht in der Stiftskirche eine beruhigende Stimmung ausstrahlt. Bemerkenswert in Chagalls Motiven ist die ebenbürtige Darstellung von Frau und Mann. Man hätte dort den Tag verbringen können. Doch die Altstadt rief und mit ihr diverse Brunnen, Skulpturen, der Schott Musik-Verlag sowie der Mainzer Dom St. Martin.

Am Judensand (alter jüdischer Friedhof mit Grabsteinen aus dem 11. bis 15. Jahrhundert), der seit Juli 2021 mit den SchUM-Stätten in Speyer, Worms und Mainz zum UNESCO Weltkulturerbe zählt, gab es für die Gruppe einen Einblick in Werte, Traditionen und Reformen der aschkenasischen Juden. Sehr interaktiv gestaltete sich diese Begegnung, es wurden seitens der Gruppe viele Fragen gestellt und beantwortet, im stetigen Bemühen unserer Führungsperson, Vorurteile und Schubladendenken auszumerzen und aus uns allen eine große Menschheitsfamilie zu sehe

Nach insgesamt 12 km Fußmarsch und frühem Aufstehen wurden langsam alle müde, ein stärkendes „rhoihessisches“ Abendessen weckte dann die Lebensgeister wieder, so dass auch bei Tisch noch die Gelegenheit zu gegenseitigem Kennenlernen und Austausch genutzt wurde.

Im Gutenbergmuseum ging man zurück ins 15. Jahrhundert, in die Zeit, wo das Buch – allen voran die Bibel – durch den Druck mit beweglichen Lettern zum Massenprodukt wurde. Zwei Exemplare der Gutenberg-Bibel liegen aus, es gibt noch 49 von 180. Diese Druckerpresse gehört zu den großen Reformen der Zeit wie auch das Übersetzen der Bibel, denn eine Bibel will vom guten Christen verstanden werden. Der vielseitige Rundgang brachte aber nicht nur den Buchdruck näher, sondern auch die Pergamentherstellung aus gegerbtem Leder (für eine Bibel brauchte es mehrere Herden von Tieren), die Farbherstellung aus Safran und Lapislazuli, den Lesestein als Vorgänger der Brille, die in einem Apfel geschmeidig gehaltene Schreibfeder und vieles mehr. Im Jahr 1500 gab es an die 200 Druckwerkstätten in den Universitätsstädten, eine Patentregelung gab es damals noch nicht, so dass der Vervielfältigung von Druckerpressen kein Riegel vorgeschoben war und Bücher zum leicht erwerblichen Gegenstand wurden. Der Glaube konnte völlig neu gelebt werden. Und so schließt sich der Kreis, denn auch die Christen wollen verstehen, was sie beten.

Ein Nachtreffen zum Thema Advent – Zeit der Erwartung (welches offen für jedermann ist) findet am Donnerstag, 17. November um 19h30 im Ephata in Eupen statt.